Ich sitze heute im Main Control Room des ESOC in Darmstadt und sehe mir das Aussetzen des Landedemonstrators Schiaparelli an. Mag sein, dass Schiaparelli nicht die umwerfendste Landesonde der Weltgeschichte ist, aber was soll’s: ExoMars ist nun mal die Mission, die mich mittlerweile seit 15 Jahren beschäftigt. Da werde ich in kritischen Missionsphasen nicht abseits stehen. Als Missionsanalytiker kann ich natürlich in dieser Phase nichts mehr beitragen, außer den Leuten, die jetzt die Arbeit machen, nicht im Weg zu stehen. Deswegen sitze ich hier auch klein und unscheinbar in einer Ecke.
Ein paar Hintergrundinformationen. Schiaparelli ist wirklich nur dafür gebaut, zu demonstrieren, dass die ESA und die von ihr beaurtragen Industrieunternehmen eine Sonde bauen können, die die „EDL“-Phase (Entry, Descent and Landing) am Mars übersteht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Hier ein paar „Warum“-Fragen und die dazugehörigen Antworten.
Warum wird Schiaparelli schon drei Tage vor dem Eintritt abgesetzt?
Das ist in der Tat reichlich früh, verglichen mit anderen Mars-Landern. Bei MER, Phoenix und MSL erfolgte die Trennung von der Transportstufe erst weniger als eine Stunde vor dem Eintritt in die Atmosphäre. Das ist das beste, wenn man die Möglichkeit nutzen will, noch ein letztes, spätes Korrekturmanöver vorzusehen. Auch können sich bei einem späten Trennen die Fehler in der Trajektorie, die durch die notorisch ungenauen Federmechanismen im Abtrennmechanismus verabreicht werden, kaum negativ auf den Eintritt auswirken. Bei der Trennung drei Tage vor dem Eintritt ist das anders.
Der Grund ist, dass bei ExoMars eben die Landesonde nicht auf einem simplen Träger sitzt, der nach der Abtrennung keinen Zweck mehr erfüllt und in der Atmosphäre zerstört werden kann. Im Gegenteil, der TGO, der Schiaparelli zum Mars transportiert hat, ist eine große und teure Raumsonde, die man hinterher noch braucht – sie soll noch viele Jahre am Mars funktionieren. Der TGO macht etwa 12 Stunden nach der Abtrnnung ein Manöver (im Raumfahrer Jargon „Orbiter Retargeting Manoeuvre“ – ORM), der den niedrigsten Punkt seiner Bahn von etwa Null bis auf über 1200 Kilometer über der Marsoberfläche anhebt. So kann er drei Tage später sein Bahneinschussmanöver („Mars Orbit Insertion“- MOI) ausführen und ist danach in einer einigermaßen stabilen Bahn mit einer Periareshöhe von 250 und einer Apoareshöhe von etwa 96,000 km. Das MOI hat den Nebeneffekt, das Periares wieder etwas abzusenken.
Je später das ORM stattfindet, desto mehr Treibstoff kostet es. 2.5 Tage vor der Ankunft ist das Delta-V mit 12 m/s noch moderat. einen Tag vor der Ankunft wäre es mehr als doppelt so groß, zwei Stunden vor der Ankunft sogar 30 Mal. Gute Gründe, es früh stattfinden zu lassen, auch wenn das auf Kosten der Eintrittsgenauigkeit geht und seitens der Landesonde einen Mechanismus erfordert, der deren Systeme zuverlässig vor dem Eintritt aufweckt.
Wichtiger noch: Die drei Tage Zeit geben der Bedienmannschaft Zeit, einen Plan B zu implementieren, sollte das Abtrennen wider Erwarten nicht klappen, warum auch immer. Es sind sogar mehrere alternative Trennpunkte vorgesehen, falls es heute nicht gehen solte. Diese erfordern jeweils kleine Manöver der Triebwerke, sonst würde die Landesonde nicht an der vorgesehenen Stelle und nicht mit dem richtigen Eintrittswinkel eintreten. Grund ist das etwa 30 cm/s große Geschwindigkeitsinkrement durch den Abtrennmechanismus. Die Trajektorie beruht auf der Annahme, dass das Abtrennen eben drei Tage vor Eintritt stattfindet. Für jede andere Abtrennzeit ist die erforderliche Trajektorie geringfügig anders.Um das Manöver auszuführen und dann den erneuten Absetzversuch vorzubereiten, braucht man Zeit.
Sollten auch Plan B, C und D nicht fruchten, gibt es noch eine letzte Rückfallmöglichkeit.
Warum landet Schiaparelli in Meridiani Planum?
Schiaparelli soll fast (aber nicht genau) am selben Ort niedergehen wie vor 12 Jahren MER-B, aka Opportunity. Dieser Landeort wurde nicht wegen seines wissenschaftlichen Wertes gewählt, sondern weil er die Erfolgschancen des Landevorgangs maximimiert. Er liegt tief (rund 2 km unter dem mittleren Referenzäquatorradius), sodass der Fallschirm etwas mehr Gas unter der Hülle hat und es etwas mehr Zeit zum Abbremsen gibt, und die Gegend ist frei von Klippen und Kratern und arm an Felsbrocken.
Unter welchem Winkel tritt Schiaparelli in die Marsatmosphäre ein?
Der vorab willkürlich definierte „Entry Interface Reference Point“ befindet sich bei einem Bahnradius von 3516 km, 120 km über dem Referenzäquatorradius. Dort ist die Eintrittsgeschwindigkeit 5.794 km/s und der Eintrittswinkel -12.4 Grad, beides relativ zu der mit dem Planeten rotierenden Atmosphäre. Die Eintrittsgeschwindigkeit folgt aus der Trajektorie, die für die TGO-Mission optimiert wurde. Der Eintrittswinkel ist das Ergebnis eines Kompromisses, der allen Anforderungen des Landedemonstrators Rechnung trägt.
Ein flacherer Eintritt würde bedeuten, dass die Landeungenauigkeit zunimmt. Die thermische und mechanische Spitzenbelastung des Hintzeschilds würde verringert, die gesamte thermische Belastung aber wegen des längeren atmosphärischen Flugs sogar erhöht. Ein steilerer Eintritt würde die Spitzenwerte der Belastungen erhöhen, aber die Ungenauigkeitsellipse des Landeorts verkleinern. Mit -12.4 Grad kommt es bei allen Parametern gerade so hin.
Der Beitrag ExoMars setzt heute Schiaparelli ab erschien zuerst auf Go for Launch.