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Untersuchungsbericht zu Schiaparelli-Absturz veröffentlicht

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Die von der ESA einberufene Kommission, die mit der Untersuchung der Umstände des Absturzes des Mars-Landedemonstrators Schiaparelli betraut war, hat ihre Arbeit abgeschlossen und einen Abschlussbericht veröffentlicht. Der Direktlink zum Bericht ist hier.

Ich mache es kurz und schmerzlos, ohne Fachchinesisch und wohlgemerkt, ohne eigene Interpretation. Ich schreibe hier das, was im Bericht steht.

  • Nach Ausfahren des Fallschirms bei nahezu doppelter Schallgeschwindigkeit (was vollkommen nominal war) schaukelte die Sonde stärker als erwartet.
  • Offenbar war das Verhalten des Gespanns Sonde-Fallschirm nicht wirklich ungewöhnlich. Die für die Entwicklung des Steuerungsmechanismus zuständigen Leute hatte es im Vorfeld anscheinend unzureichend modelliert.
  • Das Schaukeln führte zur zeitweisen Sättigung eines Gyroskops in der inertialen Plattform der Sonde. Ein Gyroskop ist ein Lagesensor. Wenn ein Sensor gesättigt ist, gibt er nur seinen Sättigungswert aus, der einem gewissen Wert für die Winkelgeschwindigkeit entspricht. Die wirkliche Winkelgeschwindigkeit kann viel höher sein als der ausgegebene Wert. Den wirklichen Wert weiß man aber nicht. So wie von einem Thermometer, dessen Skala nur bis 40 Grad reicht, auch keine höhere Temperatur abgelesen werden kann. Man weiß allenfalls, dass die Ausgabe am Anschlag war, mehr nicht.
  • Die Trägheitsplattform berechnete die Lage der Sonde aber ungeachtet der Sättigung des Sensors unter Verwendung des Sättigungswerts, weil nicht angenommen worden war, dass eine solche Sättigung auftreten könnte.
  • Die inertiale Plattform berechnete aus den wertlosen Eingaben eine vollkommen falsche Lage der Sonde unter dem Fallschirm, nämlich dass sie überkopf flog. (Wie das? Mit dem Fallschirm nach unten und der Sonde nach oben? Das ist vollkommen unplausibel und physikalisch unmöglich.) Bitte schauen Sie sich in diesem Artikel die für eine typische Mars-Landesonde erwartete Trajektorie an. Natürlich ist die Trajektorie etwas anderes als die Ausrichtung, aber eine Ausrichtung über Kopf ist vollkommen absurd.
  • 40 Sekunden nach Ausfahren des Fallschirms, als der Flugwinkel bereits mehr als 60 Grad nach unten von der Horizontalen betragen haben muss, wurde per Timer planmäßig der vordere Teil des Hitzeschilds abgetrennt.
  • Da der Fallschirm immer noch planmäßig die Sonde bremste und aufgrund der Dämpfung im System die Schwingungen abgeklungen sein mussten, wird die Ausrichtung des Gespanns ziemlich genau entlang der Anströmrichtung gewesen sein. So wie es sein soll.
  • Danach schaltete sich das Radar ein. Ohne Radardaten geht gar nichts, deswegen werden die Radarwerte auf jeden Fall vom Steuerungssystem berücksichtigt.
  • Allerdings werden die Radardaten noch mit dem Cosinus der Ausrichtung gegenüber der Richtung nach unten korrigiert. Das wäre auch OK so, solange die berechnete Ausrichtung stimmt.
  • Die berechnete Ausrichtung stimmte aber eben genau nicht. Sie war sogar komplett falsch. Es wurde ja eine Ausrichtung der Sonde mit der Nase nach oben berechnet. Das entspricht einem Winkel von mehr als 90 Grad.
  • Der Cosinus von einem Winkel von mehr als 90 Grad ist negativ. Wenn man den vom Radar gemessenen Abstand zum Boden mit einem negativen Wert multipliziert, kommt eine negative Höhe heraus.
  • Die Annahme, dass die Kapsel verkehrt herum fliegt, ist nicht nur per se absurd. Sie passt auch nicht zu den Messdaten. Das Radar sitzt unten an der Sonde. Würde die Unterseite nun in den Himmel zeigen, könnte das Radar unmöglich ein Echo des Signals vom Boden empfangen. Aber es empfing Signale, denn das Radar funktionierte nominal.
  • Da offenbar das System nicht so ausgelegt war, dass es die Plausibilität der Ergebnisse überprüfte, wurde auch der plötzliche Sprung des Werts der Höhe über Grund von einem deutlich positiven Wert (vor Einbeziehung der Radardaten) zu einer deutlich negativen Wert (nach Einschalten des Radars) nicht hinterfragt.
  • Konsequenterweise ging das System nun davon aus, gelandet zu sein und schaltete die Triebwerke ab. Der freie Fall aus fast vier Kilometern Höhe begann.

Das steht so im Abschlussbericht, nebst vielen anderen Dingen. Ich gebe hier nur in einfachen Worten das aus meiner Sicht Wesentliche wieder. Aber bitte lesen Sie den Bericht selbst und bilden Sie ihr eigenes Urteil.

Wie bereits dargelegt, wäre der Verlust der Lageinformation kurz nach Ausfahren des Fallschirms eigentlich nicht missionskritisch. Man muss nur wissen, dass man den Gyroskopdaten nicht mehr trauen kann. Aber da ja eindeutig ersichtlich ist, wann ein Sensor gesättigt ist, hat das System auch diese Information. Danach muss die Lage notwendigerweise neu initialisiert werden. Dazu muss man einfach nur eine Minute abwarten.

Nach dieser kurzen Spanne würde das Gespann schon fast genau senkrecht nach unten fliegen, aber immer noch in sicherer Höhe. Man hat also eine Referenzrichtung, und es kann weiter gehen. Bei Schiaparelli hatte man ja sogar noch die Radardaten. Das Radar strahlt in vier nicht genau parallele Richtungen ab. Auch aus diesen Daten könnte man die Lage rekonstruieren, umso mehr, wenn die Sonde noch eine Rest-Rotation aufweist.

Aber selbst das einfache Abwarten hätte gereicht.

Der Beitrag Untersuchungsbericht zu Schiaparelli-Absturz veröffentlicht erschien zuerst auf Go for Launch.


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