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Mars-Lander: Wie kann man sowas steuern?

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Ein Mars-Lander stellt nicht zuletzt ein regelungstechnisches Problem dar. Klar, die Hardware muss mitspielen, aber an zentraler Stelle sitzt eine Regelung, die von Sensoren (also Hardware) Eingaben bekommt und an die Aktuatoren (auch Hardware, aber andere) Kommandos schickt. Es ist offensichtlich möglich, so eine Regelung falsch auszulegen. Da stellt sich die Frage, wie ein robustes Steuerungssystem ausssehen könnte.

Die typische Dauer für die Phase vom atmosphärischen Eintritt bis zum Aufsetzen auf dem Marsboden ist etwa 7 Minuten. Wirklich gefordert ist das Regelungssystem aber nur während der letzten Hälfte dieser Zeit. Ich beschränke mich im Folgenden auf den Teil des Abstiegs, der vor der Endphase unter Triebwerksschub liegt. Das Regelungsproblem im letzten Teil ist durch einen geschlossenen Regelkreis mit Input vom Radar, der Gyroskopen und dem Triebwerken zu lösen und verdient eine getrennte Betrachtung. Es ist aber wichtig, dass der Mars-Lander in die Antriebsphase mit einem korrekt funktionierenden Regelungssystem hinein geht.

Um zu erläutern, worum es mir geht, brauche ich eine realistische Eintrittstrajektorie. Ich benutze der Einfachheit halber die, die ich mal für Schiaparelli vorausberechnet habe. Mit der tatsächlich geflogenen Trajektorie dieser Landesonde am 19.10.2016 haben meine Ausführungen aber nicht direkt  zu tun. Ich beschreibe, was ich tun würde, wenn man mich mit dem Entwurf eines Steuerungssystems für einen Mars-Lander beauftragen würde. Das hat aber wohlgemerkt nie einer getan.

Also, hier ist die theoretische Trajektorie eines funktionierenden Mars-Landers, bis hinunter zum Abtrennen des Fallschirms. Kurz darauf würden die Triebwerke zünden und der Endabstieg beginnen. Aber wie gesagt, um diesen letzten Teil des Abstiegs geht es hier mal gerade nicht.

Die ersten zwei Diagramme zeigen die Höhe über Grund und die Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre, zuerst beginnend beim Unterschreiten der Bahnhöhe von 120 km, dann von 12 km. Die Diagramme 3 und 4 zeigen die Höhe über Grund und den Flugwinkel. Der Flugwinkel (Englisch: Flight Path Angle) ist der Winkel zwischen der Horizontebene und dem Geschwindigkeitsvektor. Ein negativer Flugwinkel bedeutet Sinkflug.

Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016

Credit: Michael Khan, Darmstadt / Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016

Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016, Beginn ab 12 km Höhe

Credit: Michael Khan, Darmstadt / Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016, Beginn ab 12 km Höhe

Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Flugwinkel relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016

Credit: Michael Khan / Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Flugwinkel relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016

Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Flugwinkel relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016, Beginn ab 12 km Höhe

Credit: Michael Khan / Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Flugwinkel relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016, Beginn ab 12 km Höhe

Was macht die Steuerung in dieser Phase?

Eigentlich nicht viel. Die Hyperschallphase läuft komplett passiv ab. Die Sonde ist drallstabilisiert und wird ab einer Höhe von etwa 70 km durch den gewaltig zunehmenden atmosphärischen Widerstand gebremst, wie man im ersten Diagramm sieht. Das dauert rund zweieinhalb Minuten. Die Sensoren, aus deren Messdaten die Bahn- und Lageinformation berechnet wird, messen lineare Beschleunigungen (Akzelerometer)  und Winkelgeschwindigkeitsänderungen (Gyroskope). Sie sind üblicherweise in einer Trägheitsplattform integriert, dessen gesammelter Output an den Bordrechner mit der darauf implementierten Steuerungssoftware überreicht wird.

Unabhängige Sensoren wie Startracker, Sonnensensoren oder Horizontdetektoren wären prinzipell zwar nützlich, lassen sich aber vor der Abtrennung der aerodynamischen Umhüllung gar nicht und vor Abwurf des Fallschirms nur bedingt einsetzen. Unerlässlich sind sie nicht.

Die Steuerung kann in dieser Phase weder der Position noch an der Ausrichtung der Sonde etwas ändern. Sie kann nur  von den als bekannt vorausgesetzten Anfangswerten ausgehen. Durch Aufintegration der Daten der Trägheitsplattform kann sie die aktuelle Position und Lage bestimmen. Wichtig ist zunächst einmal die Geschwindigkeit. Unterschreitet diese eine vorgegebene Schwelle, dann muss der Fallschirm geöffnet werden. Im Fall von Schiaparelli lag die Schwelle bei etwa Mach 1.9.

Auf das Ausfahren des Fallschirms folgt ein gewaltiger Ruck. Binnen weniger Sekunden geht die Geschwindigkeit von fast 450 m/s auf unter 100 m/s herunter. Der Ruck wird durch die Flexibilität in den Fallschirmleinen aufgefangen, was allerdings unweigerlich zu starken Schwingungen mit erheblichen Änderungen der Winkelgeschwindigkeiten in allen drei Achsen kommt. Die Schwingungen klingen aber wegen der erheblichen Dämpfungswirkung der Atmosphäre auch schnell ab.

Sättigung eines Gyroskops, Verlust der Lageinformation

Wenn es einen Moment gibt, an dem eines oder mehrere Gyroskope gesättigt sein können, dann jetzt. Der Ausgabe eines gesättigten Sensors kann man eigentlich nur zuverlässig die Information entnehmen, dass und wie lange er gesättigt war. Man weiß damit schon einmal, dass man der aktuell berechneten Ausrichtung der Raumsonde besser nicht trauen sollte. Das ist schon mal eine ganz wichtige Information.

Was nun? Angenommen, das Steuerungssystem weiß wirklich nicht mehr, wie die Landesonde ausgerichtet ist. Spätestens, wenn die Triebwerke eingeschaltet werden, muss die Lage aber bekannt sein. Dann muss die Steuerung dafür sorgen, dass der Triebwerksschub immer schön nach unten zeigt und sich die Sonde nicht etwa auf die Seite legt. Aber bis dahin ist noch etwas Zeit.

Schauen wir uns einfach den Verlauf des Flugwinkels im letzten der vier Diagramme an. Sobald der Fallschirm entfaltet wurde, bewegt sich dieser steil auf -90 Grad zu. Nur eine Minute nach Ausfahren des Fallschirms – dann durften auch die Schwingungen weitgehend abgeklungen sein – fliegt die Landesonde unter dem Fallschirm bereits fast senkrecht nach unten – der Flight Path Angle ist bei -85 Grad und bewegt sich weiter auf -90 Grad zu. Die Höhe über Grund ist dann immer noch 6 km. Das ist noch unproblematisch.

Wenn die Flugrichtung fast genau senkrecht nach unten ist, dann hat man eine Referenzrichtung, um das Steuerungssystem neu zu initialisieren. Das System könnte einfach nach Verlust der Lageinformation – kurz nach Ausfahren des Fallschirms – einen Timeout von etwa einer Minute abwarten. Wenn dann angenommen wird, dass die Sonde genau senkrecht ausgerichtet ist, dann liegt diese Annahme nur um 5 Grad daneben. Für den  „Notbetrieb“- immerhin liegt ja eine schwere Fehlfunktion der Trägheitsplattform vor – düfte das allemal ausreichen.

Ein Mars-Lander wird üblicherweise um die Hochachse rotierend in die Atmosphäre eintreten. Auch jetzt unter dem Fallschirm wird er noch eine Rest-Rotation beibehalten haben. Das stört aber nicht. Im Gegenteil, es hilft sogar, aus den Radarmessungen die Abweichung der Ausrichtung von der Senkrechten zu bestimmen.

Nach Ausfahren des Fallschirms und Abklingen der Schwingungen kann der vordere Teil des Hitzeschilds abgeworfen werden. Ein Mars-Lander muss ein Radar haben, um den Abstand zur Oberfläche messen können. Angenommen, die Lage wird um 5 Grad falsch angenommen. Der Cosinus von 5 Grad ist 0.996. Das heißt, die Radarmessungen werden nur um 0.4% falsch berechnet. Das ist allemal hinnehmbar – um Längen besser als die Berechnung einer negativen Höhe aufgrund einer vollkommen falsch berechneten Ausrichtung.

Schlussfolgerung

Die Berechnung der Ausrichtung im Raum ist für einen Mars-Lander eher eine unkritische Sache. Zwar ist nach Ausfahren des Fallschirms mit starken Schwingungen und möglicherweise einem Verlust der Kenntnis der Ausrichtung zu rechnen. Das Regelungssystem muss gegen einen solchen Ausfall robust sein. Es kann allerdings gezeigt werden, dass es selbst in diesem Fall ausreicht, etwa eine Minute lang abzuwarten. Danach kann man in guter Näherung davon ausgehen, dass der Mars-Lander unter seinem Fallschirm senkrecht zur Oberfläche ausgerichtet ist. Für die Umrechnung der Radardaten wie auch die sichere Ausführung der finalen Abbremsphase unter Triebwerksschubist diese Annahme ausreichend.

Der Beitrag Mars-Lander: Wie kann man sowas steuern? erschien zuerst auf Go for Launch.


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