Die letzte Woche war turbulent. Sie enthielt reichlich Höhen und Tiefen. Am Sonntag setzte das Orbitermodul „TGO“ der ESA-Marsmission ExoMars 2016 den Landedemonstrator Schiaparelli aus. Am Mittwoch dann die Ankunft am Mars mit Mars-Bahneinschuss des TGO und Schiaparelli-Landung. Für den TGO ist ein Erfolg zu verbuchen, für Schiaparelli leider nicht, wobei die Haben-Seite auch da deutlich besser aussieht, als es auf den ersten Anblick erscheinen mag.
Hier das Komposit aus beiden Raumsonden als hochwertiges Tischmodell mit Schiaparelli oben drauf. Im Foto darunter das 1:1-Modell von Schiaparelli ohne aerodynamische Umhüllung, d.h. (mehr oder weniger) so, wie er auf der Marsoberfläche hätte landen sollen.
Beim TGO war die Situation von vorneherein eher entspannt. Die NASA-Bodenstation in Canberra empfing das Signal von der X-Band-Rundstrahlantenne vor und während des Manöverbeginns, danach übernahm die NASA-Bodenstation in Madrid. Die Dopplerverschiebung zeigte den Beginn und den Fortschritt des fast 140 Minuten langen Manövers. Der TGO verschwand für etwa 70 Minuten hinter dem Mars. Pünktlich um 18:33 MESZ war das Signal wieder da, und die Datenübertragung zur Erde konnte beginnen. Es war schnell klar, dass die Raumsonde wohlauf und fast exakt im Zielorbit angekommen war.
Dort ist also alles im grünen Bereich.
Bei Schiaparelli lief es leider etwas holpriger.
Bereits 75 Minuten vor dem Erreichen der Atmosphäre weckte ein Timer Schiaparelli aus dem Stromsparmodus während seiner dreitägigen Freiflugphase und der UHF-Sender schaltete sich ein. Im Kontrollraum konnte man Diagramme mit dem Zeitverlauf der Signalstärke und der Dopplerverschiebung des Signals sehen, so wie es ab 15:38 MESZ vom GMRT-Radioteleskoparray in Pune (Indien) empfangen wurde. Pune empfing wohlgemerkt nur das Signal, nicht die Telemetrie – also keine Daten von Schiaparelli. Die messbare Dopplerverschiebung und auch die Signalstärke stellen allerdings auch Daten dar – man kann daraus etwas berechnen und ableiten. Dieser Umstand kam in der Öffentlichkeit einfach nicht an. Egal, wie oft man es erklärte – irgendwann gab ich es auf.
Für das Kontrollteam war der Empfang des Signals eine große Erleichterung. Zum einen wusste man schon, dass das Aufwecken stattgefunden hatte. Zum anderen konnte man in Echtzeit (abgesehen von den 9.7 Minuten Signallaufzeit aufgrund der Entfernung von 175 Millionen km vom Mars zur Erde zu diesem Zeitpunkt) verfolgen, ob die Sonde noch am Leben war. Auch der zu frühe Signalabbruch war so live mitzuverfolgen.
Nach der Zeit des Eintritts (Signalempfangszeit ca. 16:52 MESZ) änderte sich erst einmal gar nichts. Langsam machte sich eine Dopplerverschiebung wegen der zunehmenden Abbremsung bemerkbar. Schiaparelli bewegte sich aufgrund der Geometrie zwischen Erde und Mars beim Eintritt von der Erde weg. Bei einsetzender atmosphärischer Abbremsung verringerte sich die Relativgeschwindigkeit, sodass die Frequenz des empfangenen Signals anstieg. Die Rotverschiebung des Signals wurde weniger. Das war genau so erwartet worden.
Dann riss das Signal vorübergehend ab. Auch das war so erwartet worden. Während der Phase des starken atmosphärischen Abbremsens ist die Eintrittskapsel von heißem Plasma umhüllt. Diese verschluckt das UHF-Signal. Trotzdem war das Warten extrem aufreibend. Nach fast zwei Minuten kam das Signal wieder, was mit großem Jubel quittiert wurde. Einige erhebliche Oszillationen danach müssen auf das Ausfahren des Fallschirms bei knapp zweifacher Schallgeschwindigkeit zurückzuführen sein, etwa 40 Sekunden danach auf den Abwurf des vorderen Teils des Hitzeschilds. Dieser wurde schon nicht mehr gebraucht, bevor der Fallschirm ausfuhr, aber mit dem Absprengen wurde gewartet, damit sich die Ausrichtung der Sonde stabilisieren konnte. Eine große Sorge beim Abwurf von Komponenten ist immer, dass sie mit dem Rest der Sonde kollidieren könnten.
Eigentlich hätte Schiaparelli noch 15 Minuten nach der Landung (Signalempfangszeit ca. 16:59 MESZ) weiter senden müssen. Bereits deutlich vor der wahrscheinlichen Landezeit war jedoch plötzlich Schluss. Zwar konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen, was vorgefallen war. Der Verlust des Signals war jedoch kein gutes Zeichen. Alle von Schiaparelli gesendeten Daten sollten zwar vom TGO empfangen worden sein. Zu dieser Zeit war der jedoch noch hinter dem Mars. Wir wussten nicht, ob die Übertragung geklappt hatte. Die Telemetrie von Schiaparelli sollte erst Stunden später in Darmstadt eintreffen.
Schauen wir uns de atmosphärische Trajektorie von Schiaparelli an. Hier zeige ich einige Diagramme, die auf dem nominalen Zustand basieren. Es handelt sich nicht um Auswertungen der tatsächlichen Telemetrie. In blau die Bahnhöhe, abzulesen an der linken Skala. In rot die Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre, also etwas weniger als die inertiale Geschwindigkeit. Der Zeitpunkt 0 ist definiert als die Zeit, bei der der „Entry Interface Point“ (EIP) durchquert wird. Dieser EIP ist willkürlich bei einem Bahnradius von 3516.0 km festgelegt. Der Eintritt erfolgt mit fast 5800 m/s. Man sieht:
- Die Geschwindigkeit nimmt zunächst noch zu. Erst etwa eine Minute nach EIP macht sich die Abbremsung bemerkbar. Da ist die Bahnhöhe nur noch 60 km.
- Danach geht die Geschwindigkeit rasant nach unten. Das ist die „Hypervelocity Phase“, während der der Hitzeschild gefordert ist. Hier wird die Phase des größten Wärmestroms („max q“) erreicht.
- Mehr als 150 Sekunden nach EIP werden 1000 m/s unterschritten, schon in deutlich weniger als 20 km Höhe.
- Etwa 200 Sekunden nach EIP in nur 11 km Höhe und bei knapp unter 500 m/s (rund Mach 1.9) kommt der Fallschirm heraus. Es gab bei Schiaparelli keinen kleinen „drogue chute“, der den Hauptschirm herauszieht. Typischerweise entfaltet sich ein Überschallfallschirm in weniger als einer Sekunde. Die Kräfte auf die Sonde erreichen hier eine zweite Spitze, nach der ersten in der Hyperschallphase.
- Schon 20 Sekunden später ist die Gleichgewichtsgeschwindigkeit erreicht. Diese liegt bei etwa 80 m/s und nimmt beim weiteren Abstieg auf etwa 60 m/s ab, im selben Maße, wie die atmosphärische Dichte zunimmt.
- Der vordere Teil des Hitzeschilds wird in 7 km Höhe abgeworfen. Dann wird das Bodenradar aktiv.
- In etwa 1.3 km Höhe wird, gesteuert durch den geschlossenen Regelkreis des Steuerungssystems an Bord, der hintere Teil des Hitzeschilds abgeworfen, an dem noch der Fallschirm hängt. Danach ist das von der Landesonde übrig, was man oben im zweiten Bild sieht. Der Abstieg bis auf eine Höhe von 2 Metern erfolgt allein durch die Bremswirkung der neun Hydrazintriebwerke an Bord. Diese Triebwerke können im Pulsbetrieb geregelt werden, ebenfalls durch das Steuerungssystem an Bord unter Nutzung der Trägheitsplattform und der Radarmessungen. In 2 m Höhe soll die Geschwindigkeit idealerweise komplett abgebaut sein. Der Rest des Abstiegs erfolgt im freien Fall, wobei eine kleine Knautschzone die Energie aufnimmt.

Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016
Hier noch die Darstellung nur des letzten Teils des Abstieges, unterhalb einer Höhe von 12 km und einer Geschwindigkeit von 600 m/s. Die ersten 180 Sekunden nach EIP werden dabei weggelassen. Viel Neues bringt diese Grafik nicht, aber man sieht nochmals etwas deutlicher den Geschwindigkeitsverlauf in der Endphase. Beide Diagramme enden dort, wo der Fallschirm abgetrennt wird. Ab dann spielen aerodynamische Kräfte nur noch eine untergeordnete Rolle; der weitere Abstieg ist ein regelungstechnisches Problem, im geschlossenen Regelkreis mit Trägheitsnavigationssystem, Radar und Triebwerken.

Vorausberechnetes Zeitprofil von Höhe über Grund und Geschwindigkeit relativ zur rotierenden Atmosphäre für einen Fall ähnlich dem atmosphärischen Flug von Schiaparelli am 19.10.2016, Beginn 180 s nach EIP
Hier das Ganze als hübschere Infografik:

Grafische Darstellung der Hauptergeignisse während des geplanten Abstiegs von Schiaparelli, Quelle: ESA/ATG medialab
Was man bis jetzt über die letzten Minuten von Schiaparelli weiß:
- Es ist keine Anomalie in der Navigation während des Anflugs aufgetreten. Das belegt sowohl der punktgenaue Bahneinschuss des TGO sowie die Tatsache, dass der tatsächliche Landeort nahe dem Mittelpunkt der vorausberechneten Unsicherheitsellipse liegt.
- Der Hitzeschild hat gehalten; die Sonde funktionierte auch nach der heißen Phase weiter.
- Der Fallschirm wurde genau wie geplant entfaltet und zeigte die nominale Bremswirkung.
- Der vordere Teil des Hitzeschilds konnte abgeworfen werden (sonst hätte das Radar nicht funktioniert und die Triebwerke hätten nicht aktiviert werden können).
- Auch der Abwurf des hinteren Teils des Hitzeschilds mit dem daran befestigten Fallschirm war erfolgreich. Dies geschah allerdings zu früh- nicht in 1.3 km Höhe, sondern deutlich höher, vielleicht bis zu 4 km über der Oberfläche.
- Die Triebwerke wurden gestartet und liefen eine kurze Zeit, bis sie wieder abgeschaltet wurden. Es wurde noch eine kurze Zeit danach Telemetrie gesendet.
- Sämtliche gesendete Telemetrie wurde vom TGO empfangen und ist nun den Ingenieuren verfügbar. Es wurde eine technische Kommission einberufen, die untersucht, was geschehen ist, und wenn sie es heraus gefunden haben wird, belastbare Untersuchungsergebnisse veröffentlichen wird.
Schon am Freitag erhielt die ESA von den Kollegen bei der NASA zwei Aufnahmen der CTX-Kontextkamera auf dem Orbiter MRO. Dort ist eine Stelle innerhalb der Landeellipse zu sehen, einmal vor, einmal nach der Landung. Das Bild ist eindeutig. Man sieht einen hellen Fleck – mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fallschirm, an dem auch noch der hintere Teil des Hitzeschilds hängen muss, der allerdings bei dieser Auflösung nicht zu sehen ist.
Etwa 1 km nördlich vom weißen Fleck ist eine zuvor nicht sichtbare geschwärzte Fläche von etwa 15 x 40 m Ausdehnung zu sehen. Dabei handelt es sich ziemlich sicher um die Aufschlagstelle von Schiaparelli.

Aufnahmen der Schiaparelli-Aufschlagsstelle, Quelle: Main image: NASA/JPL-Caltech/MSSS, Arizona State University; inserts: NASA/JPL-Caltech/MSSS
Spekulation ist weder hilfreich noch notwendig, die Experten haben alle verfügbaren Daten zur Hand und werden herausfinden, was geschehen ist.
Es ist allerdings keine Spekulation, wenn man berechnet, wie schnell die Sonde beim Aufschlag gewesen sein mag. Die Geschwindigkeit nahe am Boden setzt sich aus drei Teilen zusammen:
- Die Anfangsgeschwindigkeit bei Zünden der Bremstriebwerke
- Die zusätzlich gewonnene Geschwindigkeit durch die Anziehungskraft des Mars
- Die Abbremsung durch die Triebwerke
Die Endgeschwindigkeit berechnet sich aus (1) + (2) – (3). Im Nominalfall kommt ein Wert nahe Null heraus. Den kleinen Effekt der aerodynamischen Abbremsung vernachlässige ich zunächst mal in meiner Überschlagsrechnung.
Wenn nun aber Fallschirm und hinterer Teil des Hitzeschilds deutlich zu früh abgeworfen wurden, steigt (1) etwas (siehe Grafiken 3 und 4 oben) und (2) deutlich an. Im gegebenen Fall wurden offenbar die Triebwerke schon sehr bald nach dem Zünden wieder abgeschaltet, sodass (3) nahezu Null wird.
Wenn ich (3) auf Null setze und für die Anfangshöhe 4000 m annehme, kommt eine Fallzeit von 31 Sekunden und eine Aufprallgeschwindigkeit von 186 m/s heraus, also rund 670 km/h. Das allerdings dürfte deutlich über der Gleichgewichtsgeschwindigkeit selbst für ein kompaktes Objekt liegen. Ich schätze diese auf zwischen 300 und 400 km/h. Der freie Fall dauert also etwas länger als 31 Sekunden. Egal – ob nun 300, 400 oder 700 km/h, das kann keine Hardware überstehen.
Selbst aus 2 km Höhe mit 60 m/s Anfangsgeschwindigkeit komme ich auf fast 500 km/h theoretische Aufschlaggeschwindigkeit. Das liegt immer noch über der Gleichgewichtsgeschwindigkeit.
Fazit: Der Aufprall erfolgte mit „terminal velocity“. Wie hoch die genau war, werden die Aerodynamiker sagen können. Für Schiaparelli ist es egal, denn für ihn war die Geschwindigkeit auf jeden Fall zu hoch.
Wenn wir uns aber jetzt mal nicht auf das konzentrieren, was schief ging, sondern lieber auf das, was funktionierte, sieht es gar nicht so schlecht aus:
- Offenbar haben, soweit mir bis jetzt bekannt, die wesentlichen Hardwarekomponenten funktioniert.
- Die Daten, die zur Charakterisierung des Systems benötigt werden, liegen vor.
- Gerade die Abschnitte der Eintrittsphase, die auf der Erde nicht leicht simuliert werden können, haben funktioniert. Also alles, was sich bei hohen Geschwindigkeiten und niedrigen Gasdichten in der Kohlendioxidatmosphäre des Mars abgespielt hat.
- Zweifelsohne ist noch Requalifikationsbedarf vorhanden – diese Tests jedoch können auch auf der Erde stattfinden, beispielsweise mithilfe von Höhenballons.
Aus meiner Sicht ist also Schiaparelli eher ein Erfolg als ein Misserfolg.
Der Beitrag Schiaparelli-Landung: Fehlschlag auf der Zielgeraden erschien zuerst auf Go for Launch.